Ich erwache am ersten ersten Januar der neuen Zwanziger Jahre in meiner Wohnung in der Nordvorstadt. Laufe los zum Hauptbahnhof, um mir ein halbes Dutzend jetzt gnadenlos günstiger Fahrkarten zu kaufen. Es ist noch früh und knackend kalt, ich bin bester Laune, der Leser bemerkt, dass ich Silvester nicht gesoffen habe.

Ich gehe ein paar Ecken auf bürgerkriegsversehrten Bürgersteigen und an der Papststraße in die Sparkassenfiliale hinein, um Kontoauszüge zu ziehen. Neben den Automaten hat einer hingekotzt. Es ist zu warm in der Automatenhalle, das Geschnetzelte mit Spätzle kann nicht gefrieren. Man könnte einen Stuhl in die automatische Automatenhallenschiebetür stellen, damit die offen bleibt. Aber die Bank hat keinen Stuhl.

Am Ticketschalter im Bahnhof komme ich gleich dran und kaufe erst mal drei Fahrtkarten. Die Zwischensumme ergibt eine dreißigprozentige Ersparnis, vor Freude vergesse ich die anderen drei ausstehenden Zugfahrten und gehe zum Bahnhofskettenbäcker. Jeder sitzt stumm an seinem Tisch und ist absolut für sich alleine. Sehr gemütlich. Einen Milchkaffee zum Hiertrinken bitte, danke.

Drei alte Männer kommen herein mit abstehenden Haaren und Ohren. Sie bestellen verwirrt verschiedene Frühstückangebote und zahlen alle einzeln. Als sie zu dritt am zu kleinen Tisch sitzen, nimmt einer sein Frühstücksei und detscht es senkrecht auf sein Tablett. Die drei starren gespannt auf das Ei, dann reden sie aufgeregt durcheinander.

Jetzt betritt noch ein alter Mann den Bäcker, groß und rund, im beigen Trenchcoat zu dünn angezogen, vielleicht hatte er eine Panne mit dem Auto und muss jetzt mit dem Zug weiter, und schleppt an einem monströsen Koffer ohne Rollen unten dran. Als ich das sehe, denke ich darüber nach, ob die Grünen Spinner nächste Woche vielleicht die Umrüstung aller Rollkoffer auf Elektroantrieb fordern werden und wann wohl auch die SPD das gut finden wird, um die Vernichtung der Umwelt durch eine ökokapitalistische Marktwirtschaft in Rekordzeit zu bewerkstelligen.

Der rundliche Herr wischt sich den Schweiß von der Stirn und bittet mit kehligem Akzent um ein Viertel Weißwein, trocken. Gibt`s nich. Er überlegt, ob er einen Schnaps bestellen soll, als die Glastür aufgeht und eine alte Dame den Laden besucht. Er sieht sie, hält inne, ihm kommt ein Verdacht, er erinnert sich an das Versprechen. Dann nimmt er reißaus und zerrt seinen Koffer durch die Türe und besteigt an Gleis eins den Zug nach dem Durcheinandertal.

(Weimar, 3. Januar 2020)