In der kleinen Stadt der Klassiker herrschte Aufruhr. Der Bürgermeister hatte wegen der Gaul- und Eulenseuche den alljährlichen Ziegenmarkt abgesagt, auf dem traditionell die schönsten Bräute der Stadt mit ihren Cousins verheiratet wurden. Zwei Kundgebungen wurden abgehalten.
Auf dem Herderplatz versammelten sich die Gegner der Seuche, auf dem Goetheplatz die Befürworter. Die Gegner nahmen ihre Mistgabeln und zogen los, um den Kreistag zu stürmen. Die Befürworter standen herum und riefen ihre Forderungen ins Open Mike:
„Mehr Liebe und Vernunft!“
„Nur quotiert in die Quarantäne!
„Demeter-Fahrradwege jetzt!“
Da platzte einem arbeitslosen Fahrkartenabreisser der Kragen und er schimpfte: „So geht das nicht weiter, Leute. Genau wegen dieser esoterischen Scheiße haben wir jetzt rechtsradikale Hippies, Heilpraktikerinnen und Vegan-Köche an der Backe!“
„Stimmt!“
„Er hat recht!“
„Unsere Buchläden sind voll mit Schund über Heiler, Zuckerkugeln, Gartenarbeit bei Vollmond! Und die Leute glauben das Zeug! Und morgen sterben uns die Alten an der Seuche und übermorgen die Kinder an Masern und Ziegenpeter!“
„Verbrennt den ganzen Schund!“
„Mir nach! Wir brandschatzen die Buchläden!“
„Was? Nein, Missverständniss! Leute –“
„Was hat er gesagt?“
„Wir sollen die Bibliotheken anzünden.“
Dem Fahrkartenabreisser wurde das Mikrofon weggenommen und alle zogen mit Fackeln zur Buchhandlung in der Marktstraße. Nur zwei schwerhörige Optiker bogen ab in Richtung der Anna-Amalia-Bibliothek. Vor der Buchhandlung stieß die Demonstration der Seuchenbefürworter auf den Zug der Seuchengegner.
„Da! Die Maskenmuffel! Sie haben Mistgabeln!“
„Obacht! Da kommen die Maskierten! Sie haben Fackeln!“
„Sie halten den Abstand nicht ein!“
„Sie wollen unsere Literatur verbrennen! Schützt das deutsche Buch!“
Gegner und Befürworter stießen heftig zusammen. Der Bürgermeister ließ einen Löschzug anrücken, um die Massenschlägerei auseinander zu spritzen. Die beiden tauben Optiker versuchten inzwischen in der Anna-Amalia-Bibliothek, mit nassen Streichhölzern einen herumliegenden LKW-Reifen anzuzünden.
Der Löschzug raste zum Buchladen und zielte volles Rohr auf die sich prügelnden Buchbürger. Daraufhin verbündeten sich Seuchengegner und Befürworter, zündeten das Feuerwehrauto an und vermöbelten die Feuerwehrmänner. Der Bürgermeister rief nach Verstärkung und kurze Zeit darauf jagten rote Fahrzeuge aus der ganzen Region im Zickzack durch die engen Gassen.
Ein Spritzenwagen aus Apolda kollidierte in der Windischenstrasse mit der Berufsfeuerwehr Breitenblödisorla. Die Kameraden beider Wehren gingen sofort mit ihren Äxten aufeinander los. Nach kurzer Zeit lieferten sich 154 Feuerwehrmänner mit 36 Löschfahrzeugen dort eine Schlacht um das Schiller-Museum. Der zugezogene John Lee Höcker von der Freiwilligen Fremdenwehr Bornhagen wurde wegen unfairer Spielweise vom Platz gestellt, nachdem er mit einer Machete vier Kameraden enthauptet hatte.
In der Bibliothek gelang es den tauben Optikern endlich, die berühmte Karl-May-Sammlung zum Brennen zu bringen, schnell schlugen die Flammen hoch. Weil bei der Feuerwehr niemand ans Telefon ging, alarmierte der Bürgermeister die Staatskanzlei in Erfurt.
Großherzog Bodo der Größte ließ die Wasserwerfer vorfahren und brüllte:
„Innenminister! In der Klassiker-Stadt brennt die Sophie-Charlotte-Bibliothek! Außerdem prügeln sich die Bürger*innen mit der Feuerwehr. Also: Erstens Bibliothek mit Löschwasser löschen, zweitens den Pöbel mit Tränengas auseinandertreiben!“
„Jawohl! – Einsatzleiter! Erst Bibliothek mit Löschwasser auseinandertreiben, danach den Pöbel mit Tränengas löschen!“
„Jawoll! – Kollechen! Orst die Bibliodhäk mit Tränengas ausnondor treim, donooch die Leude mit Löschwasser löschn!“
Wenig später erreichten zwölf Wasserwerfer den Platz der Demokratie und rückten auf die brennende Bibliothek vor. Der Größtherzog stand in Galauniform auf einem Räumpanzer und brüllte „Feuer!“. Zwölf gelbe Fontänen ergossen sich auf die Flammen und –
… gold bemalter Stuck und weiße Marmorbüsten flogen durch die Luft, brennende Bücher formierten einen Atompilz, dann legte sich Staub über die Stadt.
Drei Monate später wurde feierlich das „Volksbad am Platz der Demokratie“ eingeweiht. Großherzog Bodo heftete sich den Thüringer Spitzenverdienstorden an die Brust und hielt eine schöne Rede. Nach der Beisetzung der gefallenen Kameraden warf der Landesherr noch mit Kamellen, bis alle nach Hause gegangen waren.
(Weimar, 6. September 2020)